Wanderung

«Wanderung» ist eine zweitteilige Arbeit. Sie besteht aus einem Plan und einem Erlebnis.

Das Erlebnis ist eine Wanderung, die ich organisiere. Alle MitarbeiterInnen der CMS sind eingeladen, an dieser Wanderung teilzunehmen.

Ich plane diese Wanderung so, wie ich auch mein Leben als Künstlerin plane: Ich zeichne und schreibe alles in mein Skizzenbuch, was mir in den Sinn kommt, was ich nicht vergessen will, worauf ich achten möchte etc. Wo soll es hingehen und mit wem? Wie soll die Einladung aussehen und an wen soll sie wie verschickt werden? Was nehmen wir mit? Wollen wir etwas sammeln. Was tun, wenn das Wetter schlecht wird? Braucht es ein Zelt und wenn ja, wie gross? Brauchen wir einen Esel fürs Gepäck? Eine Schönwettermaschine? Einen Philosophen, der uns alles erklärt? Einen Biologen, der den Namen jeder Blume kennt? Einen Arzt, der alle Wunden heilt? Oder eine Katze, die uns die Blasen an den Füssen leckt? Wie schnell sind wir unterwegs und wie lange? Wie fit sind die Teilnehmer? Wie ermitteln wir ein für alle erträgliches Belastungsmass? Oder sollen die Schwächsten auf der Strecke bleiben (um dann vielleicht besonders verwöhnt zu werden)? Bin ich der Chef? Was delegiere ich? Und wie viel soll es kosten?

In meinen Zeichnungsheften sammle ich alle Ideen, die ich mit einem bestimmten Projekt verbinde – passende ebenso wie welche, die auf den ersten Blick völlig unpassend wirken und vermeintlich (oder wirklich) nichts mit dem Ziel zu tun haben. Meine Hefte sind Orte des Widerstands und des Widerspruchs. Auf meinen Seiten sind Dinge möglich, die sonst unvorstellbar wären.

Im Anschluss an die Wanderung wähle ich aus den zahlreichen Seiten in meinem Notizbuch, auf denen ich den Anlass geplant und mir ausgemalt habe, eine einzige Seite aus, die dann ohne weitere Veränderungen in einem Massstab von 1:29 und mit grösstmöglicher Genauigkeit als Zeichnung auf die Wand im Treppenhaus übertragen wird. Bei einer solchen Vergrösserung werden die Linien zu Wegen, nimmt der Plan das Ausmass einer Realität an – fast ist es in dem Treppenhaus, als sei man in einer Landschaft unterwegs,(der Landschaft meiner Ideen.)

Das Projekt «Wanderung» thematisiert das Spannungsfeld zwischen einem Plan (man könnte auch von einem Wunsch sprechen) und seiner Realisierung. Es geht um Vorstellungskraft, Suggestion, Hoffnung, Einbildung, Sehnsucht, Grössenwahn, Berechnung, Subjektivität, Diskrepanz, Erinnerungen, Erfülltes und Unerfülltes, Enttäuschung… Was genau von diesem Emotionen dann im Treppenhaus spürbar sein wird, hängt nicht nur von dem ausgewählten Blatt ab, sondern auch von der Stimmung eines jeden Tages und von der Person, welche die Treppe begeht.