POP 

Projekte Ohne Panik

Das Künstleratelier ist ein faszinierender und mythisch aufgeladener Ort: eine Art Elfenbeinturm für den geheimnisvollen Prozess der Kunst-Produktion, ein Refugium, in dem zurückgezogen an Dingen gearbeitet wird, die nicht ganz von dieser Welt sind – sich jedenfalls nicht nahtlos ins Alltagsleben einpassen lassen. Nur Eingeweihten steht dieses vermeintlich stille Kämmerlein offen: Künstlerfreunden, Galeristinnen und Sammlern. Diese Vorstellung vom weltabgeschiedenen Tun und Treiben im Künstleratelier hält sich hartnäckig. Atelierhäuser, in denen Kunstschaffende zumeist unter sich bleiben, sind postmoderne Künstlerkolonien. Portes ouvertes bewirken bei solch grundsätzlich getrennten Sphären leider mitunter, dass die Künstler zum Ausstellungsobjekt im Streichelzoo werden. Lena Eriksson geht mit POP in die Offensive und setzt auf Gastfreundschaft und Begegnung. Sie richtet ihr Atelier als einen halb-öffentlichen Ort in einem Ladengeschäft ein. POP ist Arbeitsraum, Galerie, Salon und Raum für Events. POP ist ein Konzept, das sowohl an historische als auch an zeitgenössische Strategien der Entgrenzung von Kunst und Leben anschliesst: die Pariser und Berliner Salons der Jahrhundertwende, die Ladenlokale von Claes Oldenburg und anderen im New York der 60er Jahre, das „Erste Manifest grosser und angesehener Künstlerinnen“ (Basel 1998), die Schaufensterausstellungen von Kunst im Kasten in Friedrichshafen,… POP klingt schnell und leicht. Das Logo zitiert die berühmt gewordene Strömung der 60er Jahre, welche darauf zielte die Kategorien von „High and Low“ zu destabilisieren, die „hohe Kunst“ und die Bilderwelt des Alltags mit Comics, Werbung und Pressefotos in einen wirkungs- und spannungsvollen Austausch zu bringen. POP heisst jedoch auch „Projekte Ohne Panik“ und versucht entspannte Zustände herzustellen, in denen Kunst anders produziert und rezipiert werden kann als im konventionellen, institutionellen Rahmen. POP besteht im Wesentlichen aus vier Komponenten, die verschiedene Aspekte eines Kreislaufs vollziehen und repräsentieren: Kunst herstellen, Kunst ausstellen, Arbeiten und Strategien zur Diskussion stellen und Raum, öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zur Verfügung stellen. In einem grossen Schaufenster, das zur Strassenseite hin orientiert ist, finden monatlich wechselnde Ausstellungen statt. Das Fenster ist Auslage, Vitrine und Projektionsfläche für Kunst, welche die Passanten aus dem Alltag heraus beäugen können. Der Ladenraum dahinter ist in erster Linie Lena Erikssons Atelier, ihr Rückzugsort für konzentriertes Arbeiten. Punktuell wird dieser Raum zur Bühne, zum Veranstaltungsort für Events und zum Treffpunkt für thematische Künstlergespräche. Lena Eriksson schafft so ein Forum für Themen, die ihr selbst und anderen unter den Nägeln brennen. POP wird auch anderen Kunstschaffenden temporär für Projekte, Workshops und Präsentationen Raum bieten. Mit POP knüpft Lena Eriksson an Projekte an, die sie in den vergangenen Jahren realisiert hat und radikalisiert persönliche Arbeitsstrategien. Gemeinsam mit Chris Regn gründete Lena Eriksson 2001 die fiktive Galerie „Helga Broll“, die regelmässig in Hamburg und in Basel agiert (www.helgabroll.de). Innerhalb des Trinationalen Projekts „artists on the road“ (2002), mit dem sie durch halb Europa reiste, betrieben Lena Eriksson, Sybille Hauert und Daniel Reichmuth den Kunstkiosk „Arthie Barter INN“, einen mobilen Tauschhandel mit Kunstwerken. Lena Eriksson arbeitet mit verschiedenen Medien: Video, Zeichnung, Aquarell, Performance und Fotografie. Sie schätzt die Spannung zwischen öffentlichem Auftritt und der täglichen Arbeit, dem Zeichnen und Basteln im Atelier, wobei auch die Requisiten, Masken und Objekte entstehen, welche sie in ihren Performances – sei es live oder für die Video- oder Fotokamera – verwendet. In Performances und Videobändern veröffentlicht sie Ateliersituationen und lässt uns teilhaben an der Einsamkeit des ihres Atelieralltags. Lena Eriksson tritt uns in ihren unspektakulären, zauberhaft verspielten und präzisen Inszenierungen immer zugleich als eine handelnde Darstellerin (die sich scheinbar in einer Parallelwelt zur unseren mühelos zurechtfindet) und als „Technikerin“ (die vorführt wie’s gemacht wird und jedes Geheimnis lüftet) gegenüber.

dieser Text ist ein Geburtstagsgeschenk von Katrin Grögel, verfasst im Jahr 2004