In einer Höhle kann man alles fragen

Zwei Stunden am Tisch von Lena Eriksson – in ihrer Höhle über dem Rhein

Das passiert also auch in einer Höhle, dass der Kaffee einfach nicht von der Druckkammer im Unterteil der Espressokanne in den oberen Bereich aufsteigen will – Kaffee mit Steighemmung.

Lena macht noch einen Versuch.

Dann setzt sie sich hin, nimmt einen Keks und sagt: Jetzt bist du wie der Maler vor dem Modell. Und dann: Störe ich dich oder soll ich hier bleiben.

Sie hat einen Dialekt – ich erkenne nie, woher diese Dialekte stammen: Innerschweiz? Wallis? Ob ich fragen soll? Noch nicht?

Der zweite Versuch gelingt.

Was tut man, wenn man porträtiert wird. Lena lacht, wenn ich sie anschaue. Und isst ein Wasabi-Nüsschen.

Ich frage: Dialekt aus dem Wallis. Aber mein Vater ist ein Schwede. Zu Hause haben wir nur Schwedisch geredet. Wenn ich aber in Schweden bin, dann meinen die Leute immer ich sei aus einer anderen Region.

Eine Sprache sprechen, die immer aus einer anderen Region ist. Immer von woanders sein. Und doch: Schwedisch ist meine Herzenssprache. Die wohlige Sprache. Schwedisch – die Sprache meines Vaters. Immer von einem anderen Ort sein. Da ist schon klar, dass man sich nach einer Höhle sehnt – oder nach Kunst? Kunst ist immer die Sprache, die zum Ort passt. Oder nicht?

Das ist die Sprache – dass man es nicht versteht.

Doch zurück zu Höhle. Der Keimraum. Wo man unsichtbar ist. Ein negativer Raum. Die Höhle ist das, was man behaupten kann.

Beim Nachdenken legt Lena die Hand ans Kinn oder zupft ganz leicht an ihren Lippen. Beim Sprechen streckt sie die Hand aus und zeigt, was sie sagt.

Manchmal reisst sie einen Stopp. Plötzlich schleicht sich ein Zweifel in den Gedanken ein. Dann bringt eine Geste den Satz zu einem Ende, die Sache auf genau jenen Punkt, der es trifft – und der doch auch ein wenig geheim bleibt.

Noch einmal Höhle. Ich arbeite ja manchmal auch im Kino – das ist auch so eine Höhle. Eine Höhle aus der heraus die Filme kommen.

Die Kekse sind vom Chicken Imbiss – sehr lecker.

Und jetzt kommt die Killerfrage: Warum bist du eigentlich Künstlerin? Jetzt getraue ich mich gar nicht, sie anzusehen. Vom anderen Ende des Tisches höre ich nur: Ui.

Warum ich das JETZT bin? Weil man ein wenig alles machen kann. Nicht wegen des Geldes auf jeden Fall. Nein: Ich bin es doch einfach. Oder: Ich mache es doch einfach gerne. Oder: Manchmal frage ich mich auch, warum ich das bin. Das ist einfach so. Aber es gibt schon viele Gründe, das schon. Oder: Ich kann mir nichts anderes vorstellen.

Dann lehnt sie sich zurück, legt die gefalteten Hände über die Knie und schaut mich lachend an: Also ich bin gerne Künstlerin – meistens.

Dann die Gegenfrage – weisst du denn genau, warum du das bist was du bist? Zum Glück schreibe ich das Porträt – vielleicht sind solche Fragen der Grund, warum ich das tue, was ich tue. Jetzt kauert Lena sich aufs Sofa, knabbert an einem türkischen Chicken-Service-Keks und blickt schnell aus dem Fenster. Da fliesst der Rhein – verdammt schöne Aussicht. Manchmal sehe ich wie da welche baden. Im Winter? Im Winter. In Finnland habe ich das auch schon gemacht – in einem Eisloch. Aber das war vor einer Sauna. Das kann man sich nicht vorstellen. Aber wenn man einmal in einer Sauna war, dann sieht das alles ganz anders aus.

Sauna – Höhle. Vielleicht.

Ja, es kommt mir bekannt vor. Nur wo kommt man an. Die Höhle – das ist mehr ein Zustand. Das ist das Gegenteil von Ziel – zum Glück gibt es das. Warum zum Glück. Ziele sind auch gut – aber noch besser ist es, sie aus dem Auge zu verlieren. Das ist doch auf Reisen oft so – wenn man zurück kommt, dann haben sich die Ziele verschoben. Nein: In einer Höhle gibt es kein Ziel.

Jetzt macht Lena Ordnung auf dem Teller mit den Keksen, legt die Süssen auf die Salzigen und alle an den Rand. Sie schaut sich das Resultat an – und macht alles wieder rückgängig. Gagle – so etwas kennt man hier nicht so.

Porträtiert zu werden, das ist wie wenn man eine Videokamera auf dich richtet. Da geht man schon ein Risiko ein. Was passiert? Was schreibst du? Pling. Das Ginie-Glöckchen. Lebt Ginie nicht in einer Flasche – das ist auch eine Art Höhle. Ja, stimmt. Aber wie kommt die da raus? Vielleicht stelle ich mir das einfach zu real vor. Bei Aladin muss man reiben. Aber Ginie kommt einfach wenn man sie braucht.

Gilt das auch für die Höhle? Ist die Höhle immer da, wenn man sie braucht?

Wie stellt man eine Höhle her? Jetzt blickt Lena ganz ernst. Das ist eher etwas, das mit Zeit zu tun hat – eine Höhle entsteht in der Zeit, nicht im Raum. Die räumliche Höhle ergibt sich dann ganz von alleine. Wenn man sie braucht, dann hat man diese Zeit. Gut, Zeit ist ja auch Raum – sagt man.

Lieblingsspeise: Ich habe Phasen. Eine gewisse Zeit lang war das Japanisch, dann Marokkanisch – und jetzt weiss ich gerade nicht. Ich esse eigentlich überhaupt gerne. Kochen ist ja auch eine Form des Reisens. Als Kind liebte ich Chinesisch. Im Wallis essen alle Einheimischen sehr gerne exotische Sachen – nur die Touristen wollen immer Walliserküche.

Ich habe ein Kochbuch, darin hat es ein Rezept für Schweinebraten Calypso. Wieder die Höhle. Oder nicht?

Was muss man noch über Lena wissen? Wir haben ja schon viel.

Was war deine schönste Reise? Ich war ein Jahr in Australien. Das war während der Schulzeit – meine erste grosse Reise. Da habe ich gelernt, dass es noch etwas anderes gibt. Das war sehr wichtig für meine Biographie. Ohne Australien weiss ich nicht, ob ich Künstlerin wäre.

Manchmal habe ich das Gefühl. Lena sei ein wenig schüchtern. Ist Lena schüchtern? Kann man so etwas fragen in einem Interview? Und was heisst schon schüchtern? Nein, das ist bestimmt keine gute Frage. Obwohl: In einer Höhle kann man alles fragen. Ich lasse es trotzdem offen. Wahrscheinlich bin ich es, der schüchtern ist.

Also zurück zur Biographie. Zu den Essentials. Geboren wurde Lena Eriksson am 24. November 1971. November – der wüsteste Monat. Da sucht man Zuflucht und Wärme in der Höhle. In Australien ist es dann schön – die schönste Jahreszeit, kurz vor dem Sommer.

Ich mach vielleicht doch Licht – es ist so dunkel hier drin.

Nein, warte, das passt einfach nicht zur Höhle.

Zack.

von Samuel Herzog